Dr. Stefan Lang am 01. September 2016

Verständlichkeitskiller in wissenschaftlichen Texten


Kategorie Kampagne für Verständlichkeit

Seit Menschen schreiben, beschäftigen sie sich mit der Verständlichkeit: Wie lang dürfen Sätze sein, um noch verstanden zu werden? Welche Worte sollte man vermeiden? Es gibt sogar das Fachgebiet der Verständlichkeitsforschung. Und trotzdem: Unverständliches wohin man blickt – gerade in der Wissenschaft.

Ein Research Paper, eine medizinische Doktorarbeit und ein wissenschaftliches Poster – für alle wissenschaftlichen Texte ist Verständlichkeit ein ‚Must-Have‘. Die Zeiten sind vorbei, in denen man geglaubt hat, Unverständlichkeit gehöre zur Wissenschaft einfach dazu. Denn werden Wissenschaftstexte nicht verstanden, hätte man sich die ganze Arbeit in Labor oder Klinik sparen können.

Diese vier häufigsten Killer der Verständlichkeit werde ich an einem simplen Beispiel einmal demonstrieren:

Häufige Probleme bei der Verständlichkeit wissenschaftlicher Texte.

Simples Beispiel: die häufigsten Verständlichkeitskiller

Neulich bekam ich von einem medizinischen Forschungsverbund einen Newsletter zugeschickt, in dem ein Workshop beworben werden sollte. Im zweiten Absatz bin ich über folgenden Satz gestolpert:

„In diesem Workshop werden die verschiedenen Projektergebnisse von cloud4health sowohl im Hinblick auf die etablierte technische Infrastruktur incl. der entsprechenden Cloud-Komponenten und -Services, als auch im Hinblick auf die im Projekt etablierten Verfahren zur automatisierten Textanalyse und deren Evaluation in verschiedenen Anwendungsszenarien vorgestellt.“

Verständlichkeitskiller

[1] Satzlänge

Ich musste den Satz mehrmals lesen. Mit 43 Wörtern ist er sehr lang. Genau genommen besteht der gesamte Absatz aus nur einem Satz. Einen Satz dieser Länge kann man nicht mehr auf Anhieb verstehen. Satzlänge – das ist der Verständlichkeitskiller für wissenschaftliche Texte.

[2] Satzbau

Die wichtigsten Informationsbestandteile dieses Satzes liegen weit auseinander. Das sind die „Projektergebnisse“ (Subjekt) und das Verb „vorgestellt“ (Prädikat). Ein extrem langer „im-Hinblick-auf“-Einschub wurde dazwischen gesetzt. Das Problem: Bin ich bei „vorgestellt“ angekommen, weiß ich schon nicht mehr, was genau vorgestellt werden sollte.

Ein weiteres Problem ist das vorherschende Passiv. Nicht unbedingt ein Verständlichkeitsproblem, aber passive Sätze wirken immer etwas distanziert und abstrakt, sodass die Aufmerksamkeit des Lesers etwas leiden kann.

[3] Vage Ausdrücke

Vagheitsfloskeln wie „im Hinblick auf“ und „entsprechend“ tun ihr Übriges. Solche Worte sollen einen Bezug herstellen, doch dieser bleibt unklar. Der Leser tappt im Dunkeln. Vage Worte und Jargon – finden sich oft in medizinischen Texten.

[4] Jargon

Dann der Business-Jargon: Eine „Anwendung“ wird zu einem „Anwendungsszenario“, unter dem man sich nichts wirklich vorstellen kann. Auch in wissenschaftlichen Texten häufig: Das therapeutische Armamentarium oder die methodische Novität sind einfach verfügbare Medikamente und neue Methoden.

Simples Beispiel, aber verständlich

Wenn wir die oben genannten Verständlichkeitsprobleme beheben, kommt folgender Text heraus. Ich finde, er ist nicht nur verständlicher, sondern klingt auch besser:

„In diesem Workshop stellen unsere Referenten die Komponenten und Services der Cloud-Infrastruktur vor, die während des cloud4health-Projektes entwickelt wurden. Außerdem berichten sie, welche Verfahren der automatisierten Textanalyse etabliert wurden und wie sie in den verschiedenen Anwendungen funktionierten.“

Fazit für wissenschaftliche Texte

Auch alle wissenschaftlichen Texte kranken an den genannten Verständlichkeitsproblemen – egal ob es sich um englischsprachige Originalartikel (Paper), Reviews oder Case Reports oder eine Doktorarbeit  handelt.

Achten Sie also auf die Satzlänge und die Struktur und vermeiden Sie zu lange Einschübe zwischen Subjekt und Prädikat. Vermeiden Sie Vagheitsfloskeln und Jargon und formulieren Sie eher aktiv als passiv.

Dr. Stefan Lang

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