Dr. Stefan Lang am 09. Dezember 2016

Das leidige Passiv im Scientific Writing


Kategorie Stilfragen

Ich garantiere Ihnen: Sie können sich jede x-beliebige Anleitung zum wissenschaftlichen Schreiben vornehmen oder irgendeinen Ratgeber zum Verfassen einer Kurzgeschichte kaufen – in jedem Fall lernen Sie, dass Sie das „Passiv“ vermieden sollten. Aber wie und warum?

Scientific Writing: Warum ist das Passiv böse?

Warum brandmarkt eigentlich jeder einzelne Schreibratgeber zum wissenschaftlichen Schreiben und jeder Schreibtrainer im Scientific Writing das „Passiv“ als Stilsünde? Aus zwei Gründen:

  • Bei einer passiven Formulierung muss der Täter nicht genannt werden („die Bank wurde überfallen“ – von wem?). Eine passive Formulierung kann daher ungenau sein oder nebulös klingen – meist ungeeignet für Paper, Doktorarbeiten und Forschungsanträge.
  • Die passive Formulierung widerspricht außerdem unserer natürlichen Ausdrucksweise. Wenn wir uns unterhalten, benutzen wir so gut wie kein Passiv („Ich habe gut gegessen“ anstatt „Ein gutes Essen wurde von mir eingenommen“). Die geschriebene Alltagssprache enthält bestimmt weniger als 7% passive Formulierungen – in den geschriebenen Fachsprachen sind es oft 70%.

Gerade diese Diskrepanz ist der Grund, warum wir Wissenschaftstexte oft als sehr abstrakt und distanziert wahrnehmen – und daher nicht so gerne lesen.

Für das optimale Lesevergnügen ist es daher wichtig, für ein ausgewogenes Aktiv-Passiv-Verhältnis zu sorgen. Und das schafft man so:

Wann aktiv, wann passiv? Hängt vom ‚Täter‘ ab.

Wenn es im Wissenschaftsetxt egal ist: passiv

Bleiben Sie getrost im Passiv, wenn es keine Rolle spielt, wer etwas getan hat.

  • Meist ist es egal, wer aus dem Team an der Bench stand und pipettierte. Ich würde mir daher im Kapitel Material und Methoden keine Gedanken um das Passiv machen. Methoden stehen einfach vorwiegend im Passiv, wenn man nicht ständig von sich selbst schreiben will.
  • In der Introduction oder Discussion gibt es häufig passive Formulierungen wie It has been found… Wenn es nicht wichtig ist, in welcher konkreten Studie oder von welchen konkreten Autoren hier etwas herausgefunden wurde, ist das Passiv in Ordnung (wenn etwa über die Jahre verschiedene Wissenschaftstexte zu diesem Thema publiziert wurden).

Wenn es aber wichtig ist, wer oder was etwas tut: aktiv

Wechseln Sie jedoch ins Aktiv, wenn es wichtig ist, wer etwas getan hat, oder wenn es um etwas Besonderes geht

  • Wollen Sie auf eine bestimmte Studie referenzieren, benutzen sie mit Müller et al. demonstrated… das Aktiv.
  • Wenn Sie betonen möchten, dass Sie etwas Besonderes gemacht haben und zum Beispiel eine existierende Methode modifiziert haben, wechseln Sie in das Aktiv: In contrast to previous studies, we used…
  • Gleiches gilt für wichtige Ergebnisse des Wissenschaftstextes: This western blot demonstrated increased nuclear …

Wann aktiv, wann passiv? Hängt auch von der ‚Action‘ ab.

Wenn die ‚Sache‘ im Fokus steht: passiv. Wenn die ‚Action‘ im Fokus steht: aktiv

Wenn Sie eine bestimmte Sache oder Person in den Fokus rücken wollen, setzen Sie es, ihn oder sie an den Satzanfang – egal ob der Satz dann im Passiv steht. Steht jedoch die Handlung im Mittelpunkt, dann wählen Sie das Aktiv.

  • Die Plasmid-DNA wurde dann durch Zugabe von Ethanol gefällt. Am Satzanfang steht die Sache, um die es geht, das Thema – in diesem Fall ist es die Plasmid-DNA. Das, was damit passiert (also das Verb), steht am Satzende. Die Sache steht also mehr im Fokus als die Tätigkeit.
  • Ethanol fällt aus einer Probe die Plasmid-DNA. Hier steht das Verb („fällt“) fast am Anfang. Die Handlung steht also im Zentrum und scheint wichtig zu sein. Aktive Formulierungen betonen immer die Handlung.

Das Ziel: Aktiv und Passiv im Ausgleich

Orientieren Sie sich an diesen zwei Aktiv-Regeln: [1] Wenn es um etwas Besonderes geht (eine spezifische Studie, ein wichtiges Ergebnis) benutzen Sie das Aktiv. [2] Wenn die Handlung im Mittelpunkt steht, benutzen Sie das Aktiv.

Wenn Sie diese Grundregeln beherzigen, werden Sie leicht von den oft üblichen 70% Passiv der Wissenschaftstexte herunterkommen. Der Text wird sich dann bei etwa 30% bis 40% Passiv einpendeln und wird in der Summe viel lebhafter und frischer klingen.

Und der Leser? Das Lesevergnügen steigt und somit auch die Aufmerksamkeit des Lesers – er wird ihren Text also nicht nur mit mehr Vergnügen lesen, er wird ihn auch besser verstehen.

Eine ausführliche Erläuterung zur Aktiv-Passiv-Problematik und weitere Stilfragen gibt es natürlich im Paper-Protokoll.

In defense of the passive voice in medical writing.

Nachtrag: Habe gerade einen interessanten Artikel zum Thema gelesen: In defense of the passive voice in medical writing. Minton TD. Keio J Med. 2015;64(1):1-10 (PubMed-Link). Der Autor plädiert dafür, die Wahl von Aktiv und Passiv von der sinnvollen Wortstellung im Satz abhängig zu machen. Und die sinnvolle Wortstellung beginnt immer mit einer bekannten Information und endet mit einer neuen Information. Das gehts so in die Richtung dieses Artikels (Abschnitt: „Hängt auch von der Action ab“).

Und weitere Details zum Aktiv-Passiv-Thema gibt es in einem aktuellen Artikel von mir: Details.

Dr. Stefan Lang

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