Dr. Stefan Lang am 27. Juni 2018

Abstract first – warum man zuallererst den Abstract schreiben sollte


Kategorie Schreib- und Publikationsprozess

Nicht selten reagieren die Teilnehmenden meiner Scientific-Writing-Kurse äußerst ungläubig, wenn ich vorschlage, das Schreibprojekt „Research Paper“ mit dem Abstract zu beginnen. „Schreibt man den nicht zum Schluss?“, fragen sie, denn so steht es in fast jedem Schreibratgeber. Doch die Arbeit an einem Paper mit dem Abstract zu beginnen, hat einige Vorteile, viele Vorteile.

In meinem Schreibratgeber „Das Paper-Protokoll“ empfehle ich, die Arbeit am Paper mit dem Abstract zu beginnen. Das ist zwar das Gegenteil von dem, was die meisten anderen Scientific-Writing-Trainer so sagen, aber ich habe meine Gründe, genauer gesagt fünf Gründe.

[1] Grundlegende Entscheidungen fürs ganze Paper

Bevor man mit der Detailarbeit am Manuskript beginnt, kann man mithilfe des Abstracts viele wichtige Entscheidungen treffen:

  • Entscheidung 1: Will ich ein Hypothesen-Paper (we asked if), eine deskriptive Arbeit (the aim was to characterize) oder ein Methoden-Paper schreiben?
  • Entscheidung 2: Welche Ergebnisse kommen ins Paper – die Zellkulturexperimente oder auch die Tierversuche?
  • Entscheidug 3: Welches Zieljournal (target journal)? Das kann man gut auf der Grundlage des Abstracts entscheiden.

[2] Blaupause für Ihr Paper

Der Abstract ist das Miniaturabbild des vollständigen Papers. Hier können Sie schon einmal „im Kleinen“ die Argumentation skizzieren und optimieren. So sparen Sie viel Zeit, da viele der späteren Korrekturen überflüssig werden.

[3] Basis für die Gliederung des Papers

Die Bestandteile des Abstracts bilden das Gerüst für den nächsten Arbeitsschritt, die Gliederung. Diese Eckpunkte besetzen später im Paper ganz bestimmte Positionen. Auf diese Weise bleibt der rote Faden, den Sie im Abstract entwickelt haben, auch im finalen Paper erhalten.

[4] Im Abstract legen Sie Keywords fest

Ich meine jetzt nicht die drei bis fünf Key-Words, die man unter seinen Abstract schreiben soll, sondern alle Keywords. Das heißt: Sie wählen bereits im Abstract bestimmte Schlüsselbegriffe aus und verwenden diese dann durchgängig im gesamten Paper. Das verbessert die Verständlichkeit, da sich Leser und Leserin nicht immer fragen müssen, was ein neuer Begriff nun bedeutet (↔ Synonymitis).

[5] Der Abstract erleichtert die Zusammenarbeit mit den Ko-Autoren

Haben die Ko-Autoren komplett unterschiedliche Vorstellungen von der grundlegenden Story eines Papers, dann kann die Arbeit am Manuskript zu einer nervigen und zeitraubenden Angelegenheit werden.

Die Story seines Papers kann man sehr gut auf Grundlage des Abstracts mit seinen Ko-Autoren abstimmen. Ein paar Änderungen, zwei bis drei E-Mails und eine zehnminütige Telefonkonferenz – und schon sind alle Missverständnisse ausgeräumt.

So können Sie sicher sein, von Beginn an, in die richtige Richtung zu schreiben.

Und wie ist das bei der Doktorarbeit?

Nicht viel anders – auch eine Doktorarbeit hat eine 1-seitige Zusammenfassung. Auch die Zusammenfassung kann als Blaupause für die gesamte Doktorarbeit dienen – wenn man sie denn zuerst schreibt.

Fazit

Wichtige Entscheidungen sollte man immer zu Beginn eines Projektes treffen – das gilt für die Weltumseglung, den Hausbau, und das Paper.

Falls ich Sie noch nicht überzeugen konnte, würde ich sagen: „Probieren Sie es beim nächsten Paper einfach aus.“ Sie werden sehen: Paper-Schreiben kann auch Spaß machen.